Digitalisierung und Teilhabe

Eine Meinungskolumne von Prof. Sabine Breitsameter (Wissenschaftl. Leitung von „Wandern, Naturschutz und digitale Identität“) zu den zwei Seiten der Verantwortlichkeit beim Thema Teilhabe.

Prof. sabine Breitsameter
Prof. Sabine Breitsameter

„Lass mich doch mal machen! Nie lässt Du mich.“ Kommt Ihnen das bekannt vor? Die zwölfjährige Tochter meiner Freundin will den familiären Einkaufszettel schreiben. „Lass nur, ich mach das schon!“, entgegnet regelmäßig ihre Mutter, und erklärt: „Viel zu umständlich, viel zu teuer. Ich erledige die Sache lieber schnell selbst.“

Was sich hier zeigt, ist ein Spannungsfeld, das sich leicht auf das Miteinander in Vereinen übertragen lässt: Nicht selten sind verantwortungsbewusste Mitglieder seit langem in Vereinspositionen tätig. Sie sind integer. Sie machen ihre Sache professionell. Gut, dass sie sich wieder zur Verfügung stellen, wo man doch selber kaum durchsteigt.

Wie immer bergen solche Komfortzonen auch Risiken. Klar ist: Vereine gibt es, um Menschen zusammenzubringen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: „Gemeinsam sind wir stark.“ Offene Diskussion, respektvolle Kontroverse und integrativer Kompromiss gehören unbedingt dazu. Breites Engagement ist nötig, damit eine gemeinschaftliche Willensbildung stattfinden kann, damit jede*r einzelne Beteiligte hinter dem stehen und sagen kann: „Das ist auch Meins. Ich habe dazu mein Teil beigetragen“.

Sich produktiv einzubringen ist das eine. Das sollte aber nicht nur eine theoretische Möglichkeit bleiben. Wer es mit der gemeinschaftlichen Willensbildung ernst meint, muss zur Verantwortungsübernahme nicht nur auffordern, sondern dazu einzuladen. Teil-Habe wird durch ein motivierendes „Teil-Geben“, d.i. Gewähren und Öffnen, seitens der bis dato Verantwortlichen überhaupt erst möglich. Die Idee, dass andere das aufgrund Ihrer Erfahrung vielleicht besser können, kann in den Hintergrund treten: Bewährter Wissenstransfer trifft auf frisches Empowerment und führt zur Zukunftsfähigkeit eines Vereins.

Und ja: Da können völlig neue Ideen aufkommen, ein neuer Stil Einzug halten, und es kann auch manches schief gehen. Das nervt? Zum Engagement der Vielen gehört immer auch Toleranz.

Vielleicht fragen Sie: „Wie soll das funktionieren? Jeder ist heute überlastet. Da will doch kaum noch jemand zusätzlich etwas übernehmen.“ Stimmt. Aber vielleicht kann man die Frage auch anders stellen: Wie möchte man eigentlich arbeiten? Im Rahmen welcher Strukturen und Arbeitsweisen kann und will sich namentlich, aber nicht nur, eine jüngere Generation engagieren? Vor gut zwanzig Jahren brachte der US-amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins den Begriff der teilhabe-orientierten Kultur („participatory culture“) auf. Beflügelt werde diese, so Jenkins, durch den digitalen Wandel, den damals viele noch nicht so recht auf dem Schirm hatten. Inzwischen erleichtern digitale Werkzeuge den Zugang zu Informationen, unterstützen die transparente Verteilung von Informationen, erleichtern in vielen Lebenslagen das gemeinsame Arbeiten und Entscheiden, ermöglichen das Zusammenkommen auch dann, wenn man sich nicht am selben Ort befindet.

Das bedeutet nicht, dass die digitalen Werkzeuge die bisherigen Gepflogenheiten ausradieren. Vielmehr, dass sie die eine neue Mentalität des Teilnehmen und Teilhabens zu prägen begonnen haben: Bedürfnisse nach Zugang, Klarheit, Transparenz sowie zeitlich und örtlich flexibler Mitwirkung treten deutlicher als früher hervor.

Teil-Haben – Teil-Geben: Einladung zur Mitverantwortung durch das Eingehen auf veränderte Arbeitsstile: Ich habe meiner Freundin empfohlen, den Einkaufszettel mit ihrer Tochter durch einen Online-Merkzettel gemeinsam zu verfassen. Das kann auch von unterwegs per Handy erledigt werden. Nach einer Eingewöhnungsphase klappt das inzwischen ganz gut: Die Tochter hat gelernt, auf Kosten zu achten und Termine einzuhalten. Die Mutter hat inzwischen allerhand über Dinge des täglichen Bedarfs erfahren, die sie bisher noch nicht kannte.

Aber: Ein Allheilmittel sind die digitalen Werkzeuge nicht. Was immer wir benutzen wollen, muss – so meine ich – daraufhin befragt werden, auf welche Weise es die Werte, die uns wichtig sind, am besten transportieren kann. Das ist die vielleicht wichtigste Diskussion von allen.